07.05.2020
Kerstin Kreikenbohm © Picture Alliance
Redaktion

"Ich muss jetzt wie Frau Merkel sein“ – Kitaleitung als KrisenmanagerIn

Die Cafeteria wird zum Gruppenraum. Das halbe Team gehört zur Risikogruppe, und vom Träger kommen nur wenige Infos – wer in diesen Tagen eine Kita leitet, muss sich als Krisenmanagerin beweisen. Unsere Autorin kennt die Situationen aus eigener Erfahrung und weiß, worauf es jetzt ankommt.

Text: Kerstin Kreikenbohm
Bild: © Picture Alliance

Ich leite eine Kindertagesstätte und bin es –wie viele Kolleginnen und Kollegen –gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und vieles gleichzeitig auf die Reihe zu bekommen: Hausmeistertätigkeiten, Pädagogik, Personaleinsatz, Bauleitung und Qualitätsentwicklung. Management eben.

Jetzt sind wir Leiterinnen vor allem als Krisenmanagerinnen gefordert, und es ist ernster denn je. Die Bedingungen sind denkbar ungünstig: Man wartet ständig auf neue Verordnungen und wenn sie dann kommen, weiß man nicht, wie man sie umsetzen soll. Die Situation ist für alle neu: Kein Träger kann Lösungen aus dem Hut zaubern, die Zeitspannen zwischen der Verkündigung neuer Regelungen und deren Umsetzungsvorgaben sind lang. Die üblichen Anlässe des Austauschs wie Dienstbesprechungen, Leitungstreffen und Ausschüsse finden seit Wochen nicht mehr statt.

Alle spekulieren, wollen wasgehört haben und fragen: Wie macht Ihr das?

Alle Bedürfnisse unter einen Hut zu kriegen, ist schwierig: Wir wissen um die Kinder, die seit Wochen zu Hause isoliert sind und teilweise unter sehr ungünstigen Bedingungen leben. Da sind Eltern, die dringend entlastet werden müssen. Und die Wirtschaft ruft nach ihren Fachkräften.

Eine Zeitlang war die Sache klar: Schulen, Kitas, Geschäfte wurden mit nur minimalen Ausnahmen überall geschlossen. Das war einzusehen, und da alle das Gleiche erlebten, gab es eine große Welle der Solidarität. Nun, mit den vielen föderalen Entscheidungen,ist die Sache nicht mehr so klar. In der Verordnung zum Beispiel des niedersächsischen Kultusministeriums heißt es einerseits, dass die Kitas bis zu den Sommerferien geschlossen bleiben. Im Folgesatz ist dann zu lesen: Die Notbetreuung wird ausgeweitet.

Jetzt stecken die Leiterinnen und Leiter in Deutschland in einem Dilemma: Sie müssen die Verordnungen umsetzen und die Erwartungen des Trägers erfüllen. Gleichzeitig haben sie aber auch eine eigene, pädagogische Haltung und verstehen ihre Kita weniger als Dienstleistungsunternehmen, dennals einen Ort von Beziehungen, Begegnungen und Gemeinschaft. Für uns ist die Kita ein Lebensraum für Kinder, in dem sie selbstwirksam tätig sind.

Die Liste der Hygiene-und Verhaltensvorschriften ist lang. Trotzdem sollen möglichst viele Kinder aufgenommen werden. Wie soll das gehen, wenn sich niemand auf dem Flur begegnen darf, wenn im Sommer immer nur eine Kleingruppe rausgehen kann? Vom Gesundheitsschutz der Pädagoginnen ganz zu schweigen –einen Sicherheitsabstand wahrt in der Kita kein Kind.

Diese Fragen beschäftigen natürlich nicht nur die Leitung, sondern auch das Team. Die Unruhe wächst, Fragezeichen in den Gesichtern, alles regt sich auf. Hinzu kommt, dass im Team auch Kolleginnen arbeiten, die zur Risikogruppe gehören. Sie dürfen nicht für die Notbetreuung eingeteilt werden.

Jetzt ist der Moment, sich als Krisenmanagerin dem Team und den Eltern zu beweisen –und vielleicht auch die Reputation beim Träger zu erhöhen. Jemand sagte: „Sie müssen Frau Merkel sein: Klar, unaufgeregt –und auch ein bisschen Mutti“. Das stimmt wohl. Standing und Durchhaltevermögen sind gefordert. Wir kommen aus dieser Nummer ja eh nicht raus –durch die Krise muss nicht nur unsere Kita, nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. Das verbindet uns alle,und darin liegt auch unsere Chance. Es hilft nix, zu jammern und sich nur aufzuregen. Wir müssen kreativ werden und Lösungen finden.

Die Botschaft, die Kolleginnen und Eltern jetzt brauchen, lautet: „Es ist schwer. Wir haben große Herausforderungen zu meistern. Aber wir werden das trotzdem gut hinkriegen!“

Die Rahmenbedingen sind ungünstig: In offenen Kitas soll es wieder Gruppenräume geben, Nebenräume müssen zu Gruppenräumen umgerüstet werden. Das Spiel im Freien ist nur sehr eingeschränkt möglich. Die schwierige Dienstplanung führt zu wechselnden Bezugspersonen, es kann nicht sichergestellt werden, dass die gewohnten Beziehungspartnerinnen ihre bisherigen Gruppen betreuen. Unsere Haltung aber sollte klar sein. Wir machen das Beste aus der Situation und handeln im Sinne der Kinder: Was brauchen sie in dieser Situation? Wie will ich ihnen begegnen, wenn sie nach so langer Zeit wieder in die Kita kommen? Welche Gesprächsangebote mache ich den Kindern? Wie stellen wir die Gruppen zusammen, damit Freunde zueinander finden? Gibt es noch andere Möglichkeiten außer unserem Spielplatz, nach Draußen zu gehen –vielleicht einen Wald oder einen schönen Spazierweg?

Einmal mehr ist der Blick auf die Kinder das Wichtigste. Der Bildungsplan sollte in den kommenden Wochen nicht Priorität haben, sondern der empathische, solidarische und kreative Umgang mit dieser Ausnahmesituation. Darin steckt –immerhin –auch eine Chance: Die Situation kann die Resilienz und die Sozialkompetenzen der Kinder stärken. Mit Solidarität und Rücksichtnahme die Widrigkeiten der Situation zu meistern, vermittelt ein neues Gefühl und führt zu Erfahrungen, die unser wohlgemeintes Bildungsangebot sonst nicht bietet.

Mir sagte neulich eine berufstätige Mutter über ihre zwei Kinder: „Die müssen nun ein bisschen schneller groß werden.“ Das ist mit Sicherheit nicht das, was wir uns für die Kinder wünschen –aber sie können das schaffen. Wichtig finde ich es, mit den Kindern dazu in Dialog zu gehen und ihnen zu signalisieren, dass wir uns dessen bewusst sind, dass es schwer für sie ist, zum Beispiel mit dem Toilettengang warten zu müssen, zum Händewaschen oder Essen Schlange zu stehen oder nicht in den Garten zu dürfen. Es gibt derzeit keine Alternative –zumindest keine, über die wir entscheiden können. Aber –halten wir es mit Bob demBaumeister: „Joh, wir schaffen das!“

Empathie, Solidarität und Kreativität erfordert darüber hinaus auch die Dienstplanung: Die Leitungen müssen so vieles bedenken: Richtlinien, Risikofaktoren, familiäre Modelle der Kinderbetreuung, die Frage, was gerecht ist –da ist es hilfreich, beim Team um Verständnis und Solidarität dafür zu werben, dass die Verteilung von Gruppendienst und Homeoffice nicht für alle genau im Verhältnis zu ihrer Wochenarbeitszeit aufgehen kann. Wichtig ist, dass alle im Team spüren, dass man in ihrem Sinne handelt, wenn man möglichst viele Kolleginnen ins Homeoffice schickt und sie damit schützt. Wenn sich alle dabei abwechseln und diejenigen, die zur Risikogruppe gehören, andere Aufgaben übernehmen, ist das vielleicht auszuhalten. Diese Kolleginnen und Kollegen können zum Beispiel Kinderpost entwerfen und verteilen, lange Liegengebliebenes in der Gruppe erledigen, an Webinaren teilnehmen oder die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems überprüfen.

Bitter ist es natürlich, dass nun erste Kommunen die Sommerschließung streichen und in dieser belastenden Situation keine Aussicht auf Urlaub besteht. Stattdessen werden Mitarbeitende in Zwangsurlaub geschickt, die dann unter Umständen im Dienstplan zusätzlich fehlen. Da braucht es schon wirklich viel Zuwendung durch die Leiterin, um die Kolleginnen und Kollegen zu stärken.

Wir haben uns (bisher) im Haus einen großen Raum für das Team bewahrt. Es braucht schließlich irgendwo auch eine Möglichkeit, sich unter Einhaltung der Abstandsregeln in Kleingruppen mit drei Personen zu treffen, um in Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen und die Ergebnisse des Homeoffice vorzustellen. Hier sprechen wir auch darüber, wie wir die Notbetreuung am besten umsetzen können und wie wir mit den übrigen Familien im Kontakt bleiben.

Die Entscheidung, welche Familien ein Anrecht auf eine Notbetreuung haben, kann einem keine Kriterien-Liste des Kultusministeriums abnehmen. Anfangs hatte ich sehr auf diese Liste gewartet, um dann festzustellen, dass die Familien mit einem Anspruch sich kaum meldeten, dafür aber andere, die zwar keinen Anspruch, aber einen großen Bedarf haben. Am Ende liegt es doch bei uns Leitungen und dem Träger, zu spüren, wo wirklich Hilfe und Unterstützung nötig ist. Wir kennen unsere Familien, und über deren Situation erfahren wir nichts aus Listen, sondern aus dem Gespräch. Auch hier ist dann Standing gefordert: Nehme ich es auf meine Kappe, ein Kind in den Notdienst aufzunehmen, obwohl der Berufder Eltern nicht auf der Liste steht?

Derzeit sind viele Ansprechpartner im Homeoffice, Informationen vom Träger kommen meist nur per Mail. Die langen Wege der Verordnungen und die Erstmaligkeit der Situation erschweren es auch den Trägern, für die akutenFälle in der Praxis sofort Antworten zu haben. Ich glaube, in dieser Situation, in der sich alle paar Tage die Regeln ändern und man nicht weiß, was in zwei Wochen ist, sind die meisten Menschen dankbar, wenn die Leitung Ruhe bewahrt und im Sinne der Haltung des Hauses Entscheidungen trifft. (Dies ist kein Aufruf, sich gesetzeswidrig zu verhalten, sondern ein Aufruf, die Krise zu managen.) Ich denke, wir haben alle das Wohlbefinden und die Gesundheit der Kinder und die Unterstützung der Familien im Fokus. Die großartigen Fachkräfte in den Kitas gehören zu den wenigen Berufsgruppen, die derzeit ziemlich ungeschützt, aber mit mindestens genauso viel Herzblut und Engagement wie immer ihrer Arbeit nachgehen. Dem gebührt viel Lob und Respekt!

Diese Pandemie hat keine Vorbilder –in den Kitas kommt es nun auf die Teams mit ihren starken und entschlossenen Leiterinnen und Leiter an, ihre eigenen Vorbilder zu werden.

Kerstin Kreikenbohm ist Diplom-Sozialpädagogin, Autorin und Fortbildnerin bei Balance –Forum für Freinet-Pädagogik. Sie leitet die Evangelische Kita Aschhausen, die 2019 zu den zehn Finalisten beim Deutschen Kita-Preis gehörte und in diesem Rahmen den ELTERN-Sonderpreis gewann.

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