16.07.2019
Sarah Schmelzeisen-Hagemann
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Beziehung braucht Berührung

Kinder sind in ihrer Entwicklung auf den Austausch mit Erwachsenen angewiesen. Von Fachkräften wird erwartet, dass sie ein feinfühliges Antwortverhalten zeigen. Sarah Schmelzeisen-Hagemann beschreibt, was damit gemeint ist und warum Resonanz dazugehört.

Text: Sarah Schmelzeisen-Hagemann, Bild: © gettyimages/PeopleImages

Gerade am Anfang ihrer Entwicklung sind Kinder besonders existenziell auf den interaktiv-kommunikativen Austausch mit ihren erwachsenen Bezugspersonen angewiesen. Die Erfüllung ihrer Sicherheits-, Beziehungs- und Anregungsbedürfnisse geschieht in der Kita durch die pädagogischen Fachkräfte, die sie mit anderen Kindern teilen. Zusätzlich werden sie mit breit gefächerten inter- und intrakulturell unterschiedlichen Interaktionsangeboten in Berührung gebracht.

Wie die Kinder langfristig in der Entwicklung von diesen unterschiedlich geprägten Sozialkontakten während der außerfamiliären Betreuung beeinflusst werden, hängt besonders von der Beziehungs- und Anregungsqualität ab, die das Fachpersonal in Einrichtungen im persönlichen interaktiven Austausch jedem einzelnen Kind anbietet bzw. anbieten kann. Auch Forschungsergebnisse bekräftigen die Erfahrungen aus der Praxis, dass die wichtigsten Indikatoren zur Bewertung der Qualität frühpädagogischer Kindertageseinrichtungen im Bereich der individuell- persönlichen Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern liegen.

Im Besonderen in den alltäglichen Interaktionen werden die frühpädagogischen Einflüsse auf die kindliche Entwicklung vermittelt. Hier erweist sich unter anderem die Sensitivität und die Responsivität im Kontext reziproker kindorientierter Interaktionen als positiv stimulierend für die kindliche Entwicklung. Zu den sensitiv-responsiven Verhaltensweisen frühpädagogischer Fachkräfte gehört auch die Resonanz als ein Teilaspekt.

Licht im Dickicht der Begriffe

Interaktion kann, nach der Definition der Erziehungswissenschaftlerin Michaela Rißmann, als Prozess des Handelns zwischen Individuen und als Wechselspiel gegenseitiger Beeinflussung bezeichnet werden. Es geht nicht um eine isolierte Summation aufeinanderfolgender Handlungen, sondern um ein wechselseitiges aufeinander Beziehen, welches an gegenseitiges Verstehen geknüpft ist (Rißmann 2015).

Gerade in freien Spiel- und Bewegungssituationen bieten sich häufig Gelegenheiten, aufeinander bezogen zu interagieren. Die Fachkraft beobachtet eine Gruppe von Kindern beim Nachspielen der Alltagssituation „Wir kochen eine Gemüsesuppe“. Die pädagogische Fachkraft setzt sich zu den Kindern, beobachtet und spielt eventuell mit. Sie ist nicht in der Rolle der aktiven Erklärerin, sondern die Kinder berichten ihr von ihrem geplanten Vorhaben. So entsteht ein gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus.

Durch ihre Nachfragen bezieht sie sich direkt auf das Handeln der Kinder. Diese beschreiben ihr, welche Gemüsesorten in die Suppe hineinkommen und was zuerst zubereitet wird. Sie kann nachfragen oder offene Fragen stellen. Welche Gemüsesorten kommen in die Suppe? Warum denn keine Karotten? Im Rahmen von Interaktionen werden nicht nur kommunikative Elemente ausgetauscht, sondern auch nonverbale Prozesse, wie beispielsweise ein Kopfnicken oder ein lang anhaltender Blickkontakt.

Responsivität kann mit antworten, Antwortverhalten und sich abstimmen übersetzt werden. Die Begriffe feinfühlig oder auch sensitiv werden benutzt, um die Qualität der Antwort herauszustellen. Oft werden die beiden Begriffe synonym verwendet. Werden sie miteinander verbunden, wird die rasche und prompte Reaktion auf das Kind als responsiv bezeichnet. Das Beiwort feinfühlig unterstützt die Qualität der Antwort. Regina Remsperger-Kehm entwickelte ein Konzept zur Sensitiven Responsivität. Dabei bezieht sich die Erziehungswissenschaftlerin zur Definition von Sensitiver Responsivität auf das Ursprungskonstrukt zur Feinfühligkeit aus der Bindungsforschung. Sensitive Responsivität heißt erstens, die Signale des Kindes zu bemerken, und zweitens, sich auf die Signale des Kindes hin angemessen zu verhalten.

TPS

Ein Konzept zur Professionellen Responsivität entwickelte Dorothee Gutknecht. Sie beschreibt Responsivität im Rückbezug auf das Konzept der Intuitiven Didaktik der beiden Ärzte und Wissenschaftler Mechthild und Hanus Papousek aus dem Jahr 2001. Ähnlich wie in der Bindungsforschung geht es um Abstimmungsverhalten zwischen Fachkraft und Kind. Jedoch kann der Begriff der Abstimmung im Konzept der Intuitiven Didaktik etwas besser geklärt werden, da konkrete Verhaltensweisen benannt werden. Zusätzlich bezieht sie Interaktionen im Team oder mit den Eltern in das Konzept zur Professionellen Responsivität mit ein.

Zur Analyse und Erweiterung feinfühliger Responsivität habe ich 2017 ein Verfahren entwickelt. In diesem Verfahren wird sensitiv-responsives Verhalten nicht auf eine allgemeine Angemessenheit der Beachtung, Interpretation und Beantwortung kindlicher Signale beschränkt. Durch die Identifikation operationalisierbarer Merkmale sensitiv-responsiven Interaktionsverhaltens werden die Anteile feinfühliger Responsivität differenziert beurteilbar. Einzelelemente sensitiv-responsiven Verhaltens werden beim körperlichen Berühren, Kommunizieren, verbalen und nonverbalen Beruhigen, Befriedigen von Bindungs- und Ex- plorationsbedürfnissen, Pflegen, Beschützen, Bestätigen, Anerkennen, Anregen und Unterstützen identifiziert.

Feinfühlige Responsivität während der Pflege kann beispielsweise am sicheren Halten, Heben und Tragen des Kindes abgelesen werden. Stellt die Fachkraft vor dem Aufnehmen des Kindes Blickkontakt her? Kündigt sie ihre Handlung an? Nimmt sie das Kind sanft? Oder sind ruckartige, hastige oder unkoordinierte Bewegungen zu erkennen? Ist die Positionierung des Kindes auf dem Arm stabil? Sind beim Kind Anzeichen von Schreckempfinden zu erkennen, wie zum Beispiel weit aufgerissene Augen?

Feinfühlige Responsivität während der Essenssituation kann beispielsweise an einem individualisierten, an dem Kind orientierten Tempo des Fütterns eingeschätzt werden, am Einsetzen von Unterstützungsstrategien wie zum Beispiel der Zwei-Löffel-Methode, an der bewussten Gestaltung einer kindorientierten Essumgebung wie beispielsweise dem Verwenden von blickdurchlässige Schüsseln, aber auch am Zulassen von bewegungsfreundlichen Maßnahmen, das heißt etwa, Lätzchen nicht fixieren.

In Erzählsituationen sind es im Besonderen unterstützende oder zum Erzählen anregende Verhaltensweisen wie Scaffolding-Techniken oder Modellieren und Erweiterungen kindlicher Äußerungen.

Resonanz heißt Mitschwingen

Resonanz im Interaktionsgeschehen kann verstanden werden als eine Art des Mitschwingens mit den erkennbaren Lebensäußerungen des Kindes. Die pädagogische Fachkraft lässt sich auf die Gefühls- und Bewegungsebene des Kindes ein und versucht, ihre Bewegungen, die Atmung und die Stimme den Äußerungen des Kindes anzugleichen und dadurch seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Der Erziehungswissenschaftler und Soziologe Hartmut Rosa formuliert das ähnlich, indem er den Gedanken äußert, „dass Resonanzverhältnisse schon begrifflich ein rhythmisches Aufeinandereinschwingen voraussetzen, mithin also spezifischen Synchronisationserfordernissen genügen müssen“ (Rosa 2018, Seite 55).

Resonanz zu geben, begünstigt die Kontakt- und Beziehungsqualität zum Kind. Beim Kind sind Anzeichen von Bedürfnisbefriedigung zu erkennen. In der Praxis lässt sich Resonanz umsetzen, indem Gefühle und Bewegungen des Kindes verbalisiert und mimisch oder gestisch aufgegriffen werden.

Resonanz im Mutterleib

Aus der Säuglingsforschung wissen wir, dass der Hautkontakt für ein Neugeborenes von existenzieller Bedeutung ist, weil durch ihn die ursprüngliche Antwortbeziehung wiederhergestellt wird. „Im Mutterleib befindet er sich in einem umhüllenden, tragenden und bergenden Resonanzraum, indem er den Pulsschlag der Mutter hört und fühlt, von ihr umgeben und von ihrem Blutkreislauf durchströmt wird.“ (Rosa 2018, Seite 85 f.) Die beiden können nicht anders, als in einem körperlichen Antwortverhältnis aufeinander zu reagieren. Diese grundlegende Mutter-Kind-Resonanz wird durch die Geburt unterbrochen. Der Säugling ist den Auswirkungen der Schwerkraft und den äußerlich oft harten, kalten und nicht responsiven Oberflächen ausgeliefert.

An dieser Stelle kommen wir zur Haut – als neues Resonanzorgan. Zweiseitig im Sinne von Berühren und Berührtwerden. Über den Hautkontakt – über das Gestreichelt- und Berührtwerden – spürt, entwickelt und entdeckt der Säugling eine andere, neue Art der responsiven Weltbeziehung. Die durch die Geburt unterbrochene Resonanzachse wird auf einer anderen, neuen Ebene wieder entfaltet (vgl. Rosa 2018, Seite 86 ff.).

Resonanz in der Pflege

In der Kita-Praxis könnte die Resonanzachse „Kontakt durch körperliche Berührung“ weitergeführt und ergänzt werden. Besonders in der Pflegesituation ist die Zeit des intensivsten Kontaktes zwischen Betreuungsperson und Kind. Dadurch wird die Pflegesituation in diesem Zeitraum zum Ort der wirksamsten Berührungserfahrung eines Kindes. In der Pflegesituation sammelt es erste Resonanzerfahrungen, wie befriedigend oder frustrierend seine mitmenschliche Umwelt mit ihm umgeht.

Dabei geht es um Themen wie: Wie ist die Qualität der Berührung? Wie die Intensität? Der Zeitpunkt? Koordination und Dauer? Wie trägt die Fachkraft das Kind? Hält sie es sicher? Beachtet sie seinen Gleichgewichtssinn? Wie ändert sie die Position des Kindes? Ist sie dabei sanft, grob, hastig, koordiniert oder unkoordiniert? Diese Dimensionen der Berührung können über die Resonanzachse Hautkontakt zu Wohlbehagen, Sicherheit und Geborgenheit, aber auch zu Unbehagen, Abwehr, Unsicherheit und Verzweiflung führen. Somit ist die Berührung anfangs die dominierende Resonanzdimension.

„Die Berührung ist das Fundament jeder Beziehung, der Beziehung zu anderen und zu sich selbst. Zu Beginn bin ich Berühren und Berührtwerden, Bewegung und Bewegtwerden, Gehört- und Beantwortetwerden.“ (Allwörden; Dress 2004, Seite 3)

Die Summe dieser Resonanzerfahrungen vermittelt dem Kind das lebenswichtige Sicherheitsgefühl, das aus dem Vertrauen und der sozialen Verbundenheit zu den wichtigsten Bezugspersonen resultiert.

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