Funkelnde Eingewöhnung im Barbiekleid – Die Bedeutung von Empathie
Begegnung mit Kindern und ihren Familien aus anderen Kulturen brauchen weder große Projekte noch besondere Vorkenntnisse über andere Länder. Viel wichtiger, findet Petra Stellwag, sind echtes Interesse, Einfühlungsvermögen sowie das Überdenken der eigenen Vorurteile. Ihre Geschichte von Jessina zeigt, wie das gelingen kann.Text: Petra Stellwag
Bild: © stockakia/GettyImages
Jessina ist ein offenes und zugewandtes Mädchen. Sie kam im Alter von zwei Jahren aus Ungarn in unsere Krippe. Ihre Eltern waren erst kurze Zeit in Deutschland. Im Erstgespräch waren sie aufgeregt und leicht verunsichert. Indem wir bewusst langsam sprachen und einfache Sätze formulierten, gelang es uns dennoch, uns zu verständigen.
Die ersten Tage der Eingewöhnung
Ihren ersten Krippentag begann Jessina in einem glitzernden Barbieballkleid. Auch Jessinas Mama war wundervoll herausgeputzt. Was für uns etwas gewöhnungsbedürftig war, hat jedoch in ihrer Kultur seinen Hintergrund und in ihrer Familie einen hohen Stellenwert. Das musste von uns respektiert werden. Keine komischen Blicke unsererseits und vor allem keine Anmerkungen, dass das Kind doch bitteschön in funktionaler Kleidung kommen soll. Ich interpretierte ihr Erscheinungsbild als Zeichen des Respekts uns gegenüber. Redebedarf erforderlich hantierte. Nicht nur ich, auch die Kinder teilten die Bewunderung über Jessinas funkelndes Aussehen. Auch in den nächsten Tagen war sie sehr schick angezogen. Ich hatte den Eindruck, dass die Einsicht vonseiten der Mutter ganz von alleine kam, als sie sah, mit wieviel Freude die Kinder im Sand und in der Erde buddelten. Sie schimpft nicht, wenn die Kleidung ihrer Tochter schmutzig
wurde. Folglich war dazu auch kein weiterer Redebedarf erforderlich.
Eine besondere Tradition
Bei meinen Beobachtungen fiel mir sofort auf, in welcher besonderen Weise Jessina mit Knete hantierte. Sie wälzte den Teigklumpen mit der Kraft ihrer beiden Hände. Ich fragte ihre Mama, ob sie zu Hause vielleicht Teig kneten. Sie erzählte mir, dass es in ihrer Familie eine lange Tradition ist, Brot selbst zu backen und Jessina sehr gerne dabei zuschaut. Am nächsten Tag bekamen wir ein leckeres Brot zum Frühstück geschenkt, das wir dankend annahmen. Das duftende Brot kam so gut an, dass wir ab jetzt jeden Monat mit dieser Köstlichkeit verwöhnt wurden. Es machte ihr große Freude, uns zu beschenken und sie war sehr stolz.
Schwierigkeiten in der Eingewöhnung
Während der Eingewöhnungszeit unterhielt ich mich mit Jessinas Mama mit Händen und Füßen. Die Mutter zeigte mir auf ihrem Smartphone, neben Fotos aus ihrer Heimat in Ungarn, wie Jessina zu Hause spielt. Normalerweise sehen wir Smartphones in der Kita nicht gerne. Aber in diesem Falle wäre es für die Mutter eine Zurückweisung gewesen und
hätte unser Vertrauen gefährdet. Also beschloss ich, hier mal alle Fünfe gerade sein zu lassen – und genoss es, gemeinsam mit ein paar Kindern auf dem Schoß die Fotos zu betrachten. In diesem Fall war das wirklich ein Gewinn, denn Jessinas Mama kam uns wieder ein Stück näher und die Kinder entdeckten auf den Bildern allerlei Dinge. Auch ihre Sehnsucht
zu ihrer Familie in Ungarn, welche sie nur zwei Wochen im Jahr sieht, wurde dabei deutlich.
Jessinas Eingewöhnung war schwierig, vermutlich auch wegen der sprachlichen Barriere. Es gefiel ihr bei uns, aber sobald ihre Mama weg war, weinte sie bitterlich. Ihre Mama brachte mir auf mein Bitten hin Wörter auf Ungarisch bei, um eine Verbindung zu schaffen und Jessina eventuell dadurch beruhigen zu können. Wir mussten dabei so viel lachen, da ungarisch für mich schwer auszusprechen ist. Ich bekundete meinen Respekt ihr gegenüber. Das Erlernen einer fremden Sprache ist schwer. In ihren Augen sah ich eine Art Erleichterung. Ein paar der Kinder versuchten sich ebenfalls an den neuen Wörtern, um Jessina zu trösten. Im Morgenkreis luden wir Jessina und ihre Mama ein, mit uns ein ungarisches
Lied zu singen. Jessina war sehr selbstbewusst und sang aus vollem Halse. Die Kinder staunten und Mama hatte Tränen in den Augen.
Die Geschichte von Jessina erzählt, wie es uns trotz erheblicher sprachlicher Barrieren gelungen ist, eine vertrauensvolle Beziehung zu Kind und Mutter aufzubauen. Jedes Kind wächst in einem eigenen Mikrokosmos auf, jede Familie hat unterschiedliche Bräuche, Traditionen und Werte – völlig unabhängig von Nationalität und Herkunft. Wenn wir uns auf das Fremde einlassen, bietet das Unbekannte ein großes Feld, sich kennenzulernen und näherzukommen, sich angenommen und aufgehoben zu fühlen. Besonders wichtig für mich ist, dass wir jeder Familie mit echtem Interesse begegnen, egal aus welchem Land sie kommt. Nur dann fühlt es sich für beide Seiten authentisch und „richtig“ an.
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