Eine Grenze ist eine Grenze – Eltern aufzeigen, bis wohin und nicht weiter
Es gibt sie: Die Mütter und Väter, die sich unangemessen in pädagogische Entscheidungen einmischen und in ihrer Vehemenz vielleicht sogar den Kita-Ablauf stören. Jeder, der so etwas schon erlebt hat, weiß, dass es in solchen Situationen wenig Sinn macht, sich auf eine Diskussion einzulassen. Lothar Klein zeigt auf, dass es manchmal wichtig ist, als Fachkraft deutlich – aber bitte freundlich – „Stopp!“ zu sagen. Wie in jeder anderen Beziehung auch.Text: Lothar Klein
Bild: © Lya_Cattel/GettyImages
Wir sind selbst verantwortlich dafür, anderen unsere Grenzen aufzuzeigen
Beziehungen haben immer zwei Seiten. Auf der einen stehen Verständnis füreinander, Zusammenarbeit, Nähe, Harmonie. Auf der anderen: Abgrenzung, Distanz, Konflikt. Beziehungen sind auf Dauer nicht tragfähig, wenn nicht beide Seiten gelebt werden. Grenzen zu setzen, ist deshalb auch ein Beziehungsangebot. Das lautet in etwa so: „Ich zeige Dir, wo meine Grenzen liegen, damit Du sie respektieren kannst und es zu keiner für unsere Beziehung schädlichen Grenzverletzung kommt.“ Kurz: Mein Gegenüber kann meine Grenzen gar nicht achten, wenn ich sie nicht verdeutliche. Woher soll sie oder er diese sonst kennen? Und da liegt der Hase im Pfeffer! Wir sind selbst verantwortlich dafür, anderen unsere Grenzen aufzuzeigen. Diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen.
Immer wieder eine Frage: „Darf ich das?“
Darauf zu hoffen, dass andere schon irgendwie von selbst unsere Grenzen wahrnehmen und respektieren, geht in der Regel schief. Die Krux ist, dass wir in der eigenen Kindheit wenig Gelegenheit hatten, das Eintreten für die eigenen Grenzen zu üben. Es ist leider noch immer so, dass Kinder kaum dazu ermutigt werden, ihre Grenzen gegenüber Erwachsenen zu formulieren. Uns fehlt es also an Erfahrung. Wir befürchten dauerhafte Beziehungsstörungen und andere negative Folgen und sind geneigt, Grenzüberschreitungen so lange wie möglich zu ertragen. „Darf ich das?“, werde ich immer wieder gefragt, wenn ich dazu auffordere, auch Eltern gegenüber die eigenen Grenzen zu verteidigen. Dazu bedarf es natürlich überhaupt keiner Erlaubnis. Im Gegenteil: Professionell handelt auch, wer Grenzen angemessen deutlich macht.
Freundlich zur Person, deutlich in der Sache
Manchmal ist es nicht einfach, ruhig und freundlich zu bleiben. Aber wer das kann – und dabei noch klar in der Sache ist – agiert professionell. Im folgenden Beispiel wird das deutlich:
Beispiel: Frau Nowak
Frau Nowak, die Mutter des dreieinhalbjährigen Maxim, beschwert sich bei Maxims Erzieherin. Diese soll verhindern, dass sich Maxim immer wieder als Mädchen verkleidet. Zunächst nimmt die Erzieherin die Beschwerde an und erkundigt sich nach dem Hintergrund. Durch präzises Nachfragen erfährt sie, dass Maxims Eltern (sie stammen aus Polen) gerne möchten, dass Maxim als „richtiger Junge“ aufwächst. Schwul sein sei eine Folge falscher Erziehung, meinen sie. Nachdem Maxims Erzieherin ihren anderen Standpunkt und den der Kita freundlich erläutert, nimmt das Gespräch einen unangenehmen Verlauf. Maxims Mutter droht der Erzieherin mit ihrem Mann. Der würde schon dafür sorgen, dass „das hier anders läuft.“
Die Reaktion der Erzieherin überrascht. Sie unterbricht die Mutter freund- lich mit den Worten: „Frau Nowak, ich verstehe Ihren Unmut gut. Es würde mir andersherum wahrscheinlich ähnlich gehen. Wir streiten uns hier über unterschiedliche Werte. Niemand will die eigenen so einfach über Bord werfen. Sie so wenig wie wir. Wir sind aber verantwortlich für das, was wir hier tun. Ich bitte Sie deshalb freundlich darum, dies zu respektieren. Wenn Sie möchten, erläutere ich Ihnen zu einem anderen Zeitpunkt gerne den Hintergrund für meine und unsere Haltung.“
Ungewohnt ist einerseits die Deutlichkeit, mit der die Erzieherin die Unterschiede zwischen den Positionen benennt. Sie macht unmissverständlich klar, dass es in diesem Punkt keinen Kompromiss geben kann. Die Erzieherin kann und will Maxim nicht verbieten, sich im Rollenspiel auch als Mädchen zu verkleiden. Sie unterlässt es auch, sich dafür zu rechtfertigen oder zu versuchen, Frau Nowak mit pädagogischen Argumenten zu überzeugen. Sie spürt bald, dass es sich hier um einen Wertekonflikt handelt, der erst einmal nicht überbrückbar ist, und benennt das auch so. Die Grenze wird dadurch für beide klar. Andererseits bleibt die Erziehrin die ganze Zeit über freundlich. Sie wertet die Sichtweise von Frau Nowak nicht ab, sondern würdigt sie. Freundlichkeit und Deutlichkeit widersprechen sich also nicht.
Blitzschnelle Entscheidung: Gehe ich in den Dialog oder setze ich eine Grenze?
Wichtig ist, sich innerlich klar darüber zu sein, ob ich im Augenblick auf mein Gegenüber eingehen oder ihm eine Grenze setzen möchte. Diese Entscheidung muss ich treffen. Und dies muss manchmal in Sekundenbruchteilen vonstatten gehen. Sich zu entscheiden, schützt davor, in die Rechtfertigungsfalle zu tappen. Eine Grenze zu setzen, bedarf einer entschiedenen Haltung, auch körperlich. Wer eine Grenze setzt, verfolgt das Ziel, sein Gegenüber dazu zu bringen, die Grenze zu respektieren. Dabei riskiere ich automatisch Streit, Zorn oder Ärger Doch dazu muss ich bereit sein, wissend, dass der Zorn zwar berechtigt ist, aber nicht ewig anhält. Etwas ganz anderes ist es, in einen Dialog über unterschiedliche Sichtweisen, Erwartungen, Werte usw. einzusteigen.
Hier bin ich auf den anderen und seine Interessen fixiert. Ich nehme mir dafür Zeit, und wenn es gut läuft, haben sich beide Seiten am Ende verstanden. Körperlich unterscheiden sich beide Haltungen sehr. Grenzen zu setzen bedeutet, sich aufzurichten, sich zu präsentieren, sich zu stellen, Bereitschaft zur Abwehr auszudrücken. Im wahrsten Sinne des Wortes: Nicht sitzen zu bleiben, sondern aufzustehen, nicht stehen zu bleiben, sondern konfliktbereit einen Schritt auf das Gegenüber zuzugehen. Im Dialog hingegen drückt jemand körperlich vor allem die Bereitschaft zuzuhören aus. Hier zeige ich mich offen und einladend.
Grenzen müssen deutlich formuliert werden
An folgendem Beispiel wird klar, dass ich manchmal hartnäckig sein muss, wenn ich Grenzen aufzeigen will.
Beispiel: Frau Heinemann
Frau Heinemann steht zum wiederholten Mal im Gruppenraum und möchte mit der Erzieherin ihrer Tochter sprechen. Heute geht es um schmutzig gewordene Kleidung. Dass die Erzieherin gerade mit drei Kindern spielt, nimmt Frau Heinemann gar nicht wahr. Die Erzieherin verspricht den Kindern zunächst, dass sie, sobald sie mit Frau Heinemann gesprochen hat, wieder zu ihnen kommen wird. Dann steht sie auf und bittet Frau Heinemann, sich kurz mit ihr an einen Tisch zu setzen. Frau Heinemann redet und redet. Die Erzieherin hört eine Weile schweigend
zu. Dann sagt sie: „Frau Heinemann, ich habe Ihnen jetzt zugehört und glaube zu verstehen, worum es Ihnen geht. Ich bitte Sie nun aber, den Gruppenraum zu verlassen. Ich habe den Kindern versprochen, gleich wieder mit Ihnen weiterzuspielen und spreche Sie morgen früh oder heute Nachmittag noch einmal auf ihr Anliegen an. Dann nehme ich mir dafür auch etwas Zeit.“ Frau Heinemann scheint das gar nicht zu hören und redet weiter: „Ja, aber …“ Die Erzieherin wiederholt nun, was sie eben gesagt hat. Als Frau Heinemann auch das nicht erreicht und sie immer heftiger argumentiert, steht die Erzieherin auf und wiederholt mehrmals ihre Bitte, den Raum nun zu verlassen. Mehr sagt sie nicht. Erst nach erneuter deimaliger Aufforderung verlässt Frau Heinemann schließlich schimpfend den Raum.
Grenzen müssen deutlich formuliert werden
Eine Grenze ist eine Grenze! Zwar muss ich immer innerlich abwägen, mit welchem Verhalten ich im Moment den kleineren Preis zahle. Manchmal kann das bedeuten, dass ich erneut zu den Kindern gehe, mich bei ihnen entschuldige und mir dann trotz allem Zeit für Frau Heinemann nehme. Aber grundsätzlich gilt, dass Grenzen deutlich formuliert sein müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Manchmal braucht es viele Wiederholungen, bis das Gegenüber endlich verstanden hat, dass ich es mit meiner Grenze ernst meine. Vor allem darf ich mich in kein erneutes Gespräch verwickeln lassen. Jedes Argumentieren kann leicht als erneutes Gesprächsangebot missverstanden werden.
„Ich …“ – denn ich stehe als Person dafür ein
Grenzen beginnen üblicherweise mit dem Wörtchen „Ich“. Sie sind nicht entschuldigend („Leider kann ich im Moment nicht …“), sondern fordernd: „Ich möchte, dass …“; „Ich bitte Sie freundlich darum, dass …“ usw. In unseren Formulierungen sollten wir darauf verzichten, von „wir“ zu sprechen oder uns auf das Konzept zu berufen, sondern klar und deutlich von sich zu sprechen: „Ich möchte dies nicht, weil …“. Damit machen wir deutlich, dass wir es ernst meinen und stehen als Person dafür ein. Eine persönliche Sprache ist zudem meistens warm und freundlich, muss aber nicht weniger klar sein
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