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Ein Arztkoffer, zwei Kinder und das Potenzial, dass diese sich ausziehen, um sich zu untersuchen: Viele Fachkräfte spüren in dieser Situation ein inneres Spannungsverhältnis. Dazu ein Blick auf die kindliche Sexualität: Viele Menschen tun sich mit dem Begriff Sexualität, bezogen auf das Kindesalter, schwer. Das liegt oft daran, dass wir Rückschlüsse zur Erwachsenensexualität ziehen. Diese umfasst unter anderem Sex und sexuelle Befriedigung. Doch die kindliche Sexualität hat hiermit gar nichts zu tun. Die sexuelle Entwicklung gehört zur gesamten kindlichen Entwicklung. Sie ist mit allen anderen Entwicklungsebenen verwoben. Die kindliche Sexualität ist ganzheitliches Erleben mit allen Sinnen, das besondere emotionale, soziale, kognitive und körperliche Komponenten hat. Ein Kind lernt im sozialen Umgang seine eigenen sowie die Grenzen anderer Menschen kennen. Es lernt, welche Gefühle es im Kontakt mit anderen oder bei bestimmten körperlichen Berührungen empfindet. Hierbei geht es um alltägliche Erfahrungen wie Händehalten und Wickelsituationen.
Ein Beispiel für unbewusstes Lernen im Zuge kindlicher Sexualität: „Streicheln fühlt sich schön an auf der Haut – aber nur, wenn Mama das macht. Fest gedrückt werden finde ich niemals schön, egal, wer mich fest drückt. Ich wehre mich, wenn es mir zu viel wird. Ich streiche meinem Freund gern über den Kopf, weil die Haare sich schön weich anfühlen. Mein Freund mag das aber nicht, aus diesem Grund lasse ich es sein.“ Kinder sind neugierig. Sie wollen die Welt entdecken und alles um sich herum verstehen. Dazu gehören auch der menschliche Körper und Wissen über die Entstehung eines Menschen. Vieles darüber, „wo die Babys herkommen“, erfahren sie aus den Erzählungen Erwachsener oder aus Büchern. Darüber hinaus brauchen sie aber einen Rahmen, in dem sie ihre eigenen Körper kennenlernen können. Die Förderung dessen beginnt bereits beim Wickeln. Indem Sie die Körperteile der Kinder genau benennen, lernen Kinder ihre Körper kennen. Später erkennen sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und entwickeln ihr eigenes Schamgefühl. Je älter die Kinder werden, desto genauere Vorstellungen haben sie davon, wer sie nun nackt sehen darf und wer nicht. Auch dieses Erlernen sozialer Gepflogenheiten gehört zur sexuellen Entwicklung eines Kindes.
Es wird deutlich, dass die sexuelle Entwicklung auf mehreren Ebenen stattfindet und äußerst wichtig für den weiteren Lebensweg eines Kindes ist. Nur wer seine eigenen Grenzen kennt, kann sich gut schützen, später im Jugend- und Erwachsenenalter besser „Nein“ sagen und dafür einstehen, was er oder sie will. Darüber hinaus sind auf sexueller Ebene gut entwickelte Kinder besser in der Lage, empathisch auf ihre Mitmenschen zu reagieren und deren Grenzen zu respektieren. So legt die kindliche Sexualität einen Grundstein für das Erwachsenenalter und ist daher äußerst wichtig für die Identitätsbildung eines Menschen.
Fachkräfte haben auch die Aufgabe, Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre sexuelle Entwicklung uneingeschränkt und trotzdem geschützt auszuleben. Das ist genauso wichtig, wie den Kindern Bewegungsmöglichkeiten zur Förderung der motorischen Entwicklung anzubieten. Nicht jedem Erwachsenen fällt dies leicht, da man häufig an seine eigenen Schamgrenzen stößt. Es kann helfen, sich in der Fachliteratur oder mit einer Fortbildung genauer über die kindliche Sexualität zu informieren. Mit einer reflektierten Haltung ist es Erwachsenen eher möglich, sich emotional zu distanzieren und bestimmte Situationen aus pädagogischer Sicht zu betrachten. Aus Leitungssicht tauchen darüber hinaus Themen wie die räumliche Kapazität und die strukturellen sowie die konzeptionellen Gegebenheiten auf.
Für Kinder ist das Zeigen und Anfassen des Körpers ein Spiel. Natürlich ist es wichtig, gewisse Grenzen zu setzen, wenn Kinder nun miteinander spielen oder gar versuchen, eine pädagogische Fachkraft einzubeziehen. Wenn ein Kind einer pädagogischen Fachkraft beispielsweise an den Po fasst und dieser das unangenehm ist, ist es äußerst wichtig, die eigenen Grenzen auszusprechen und authentisch zu bleiben. Wenn ein Kind erfährt, dass verschiedene Erwachsene unterschiedliche Grenzen setzen, lernt es, dass es selbst auch persönliche Grenzen haben darf und nichts hinnehmen muss, was ihm unangenehm ist.
Der Begriff „Doktorspiele“ hat sich allgemein eingebürgert, während die Fachwelt vorzugsweise von „Körpererkundungsspielen“ spricht. Aber es gibt Unterschiede zwischen einem reinen Nachspielen von Arztsituationen und dem aktiven Erkunden des eigenen Körpers oder des Körpers anderer Kinder. Bereits im frühen Kindesalter besuchen die Kinder in unserer Gesellschaft den Arzt. Ein „Doktor“ untersucht den ganzen Körper des Kindes. Aufgrund der Neugierde, die Kinder an Körperwissen haben, greifen sie gern auf das Doktorspiel zurück. Dieses bietet die optimale Gelegenheit, die Körper anderer Kinder zu erforschen. Sie lernen hierbei ihre eigenen sowie die Grenzen anderer Kinder sowie persönliche Vorlieben und Abneigungen kennen. Zusätzlich können Kinder Erlebnisse, die ihnen emotional zugesetzt haben, im Spiel verarbeiten – beispielsweise den Stich einer Spritze. Das Doktorspiel kombiniert somit optimal ein Rollenspiel mit der sexuellen Entwicklung. Da Kinder in unterschiedlichen Altersstufen auch unterschiedliche Interessen haben, ist es wichtig, dass grundsätzlich ein fünfjähriges Kind nicht mit einem dreijährigen Kind spielt. In einem solchen Kontext herrscht ein zu großes Machtgefälle.
Kommt die Initiative vom Kind und handelt es sich um reines Nachspielen einer erlebten Situation beim Arzt, können sich Fachkräfte einbeziehen lassen – etwa sich einen Verband um die Hand legen lassen. Diese Art Spiel kann für Fachkräfte sogar interessant sein, da sie Einblicke in die Erfahrungswelt der Kinder erhaschen. Zeigen Kinder jedoch das Bedürfnis nach Körpererkundungsspielen und damit einhergehender Privatsphäre, sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich vor den Augen anderer zurückzuziehen. Mit vorab festgelegten Regeln für Doktorspiele besteht kein Grund zur Beunruhigung. Der Schutz der Kinder steht stets an oberster Stelle. Die Kita kann Regeln aufstellen, die die Fachkräfte vor den Spielen mit den Kindern besprechen oder die in Form von Bildern aufgehängt werden können. Hier einige Beispiele, die ein sicheres und harmloses Doktorspiel gewährleisten:
Unter Berücksichtigung solcher Regeln sowie einer Fachkraft, die ein Auge auf das Spiel hat, stellen Doktorspiele keinen Grund zur Sorge dar und sind sogar förderlich für die sexuelle Identitätsbildung. Dieser Artikel ist lediglich ein kurzer Abriss zu einem großen Thema. Wenn Sie und Ihr Team tiefergehendes Wissen wünschen, empfiehlt es sich, eine Fortbildung zu buchen. Fortbildungen zum Thema kindliche Sexualität und Doktorspiele bietet unter anderem pro familia e. V. an. Für eine Fortbildung im Raum Stuttgart melden Sie sich gern bei mir persönlich: katharina.schaefer@profamilia.de.
Jörg Maywald: Sexualpädagogik in der Kita, Verlag Herder, Freiburg 2018
Uwe Sielert: Einführung in die Sexualpädagogik, Beltz Verlag, Weinheim 2005
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA): Liebevoll begleiten & Körper, Liebe, Doktorspiele, zu finden unter: www.bzga.de/ infomaterialien/sexualaufklaerung/liebevollbegleiten
Katharina Schäfer ist Sozialpädagogin, Sexualpädagogin, Autorin und Gründerin des Kinderbuchprojekts „Bücherpädagogik“.
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